Außergewöhnliches Kunsthandwerk
Für Jan Kretzschmar ist es kein gewöhnlicher Arbeitstag, als er Mitte Februar einer Gruppe von Journalisten in den Werkstatträumen von Fuchs+Girke seine Beschäftigung erklärt. Der Maler, Grafiker, Restaurator und Bildhauer arbeitet normalerweise in seinem Atelier in der Nähe Berlins. Dort hat er Ruhe, kann sich Tag und Nacht ganz seinem Schaffen widmen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Janusz Kopec fertigt er die detailreichen Bildmotive der Stuckdecken für die „Goldene Waage“. Ein paar wenige vorhandene Fotos und Kupferstiche früherer Künstler, die glücklicherweise erhalten sind, müssen ihm dabei als Orientierung genügen. Gleich mehrere Herausforderungen für den Künstler: Auf den historischen Aufnahmen fehlen Details. Zudem kann Kretschmar die unterschiedlichen Höhenreliefs der originalen Decke nur erahnen. „Die Fotos zeigen diese Unterschiede nicht“, erklärt er.
Gefragt sind schöpferische Ambitionen und viel Erfahrung. Im ersten Arbeitsgang fertigt Kretzschmar eine genaue Zeichnung nach den historischen Vorlagen an. Schon dabei erarbeitet er sich ein Bild im Kopf, fügt auch seine eigene Interpretation hinzu. „Bei der Umsetzung muss ich dann gar nicht mehr auf die Vorlagen schauen. Das gibt mir eine innere Freiheit.“ Die neuen Stuckdecken spiegeln damit auch die Handschrift der heutigen Künstler wieder. Die Reliefs modelliert Kretzschmar aus Ton. Mit seinem wichtigsten Werkzeug, den Händen, trägt er Tonschicht für Tonschicht auf, um diese dann behutsam mit Spachteln, Modellierhölzern und Lanzetten zu bearbeiten, bis alles passt. Einen guten Monat braucht er für ein Motiv. Aufwendig sei diese Arbeit, allerdings nicht so anstrengend wie früher, als die Künstler über Kopf stundenlang unter der Decke beschäftigt waren.
Alles hat eine Bedeutung
Der vermögende Gewürzhändler und Zuckerbäcker Abraham von Hameln ließ die „Goldene Waage“ 1616 bis 1619 für seine Familie und sich bauen. Dabei überließ er auch die ikonografische Gestaltung der Stuckdecken nicht dem Zufall. Seine Inspiration zog er unter anderem aus religiösen Motiven. Eines der ovalen Reliefs zeigt beispielsweise eine Szene der alttestamentarischen Tobias-Geschichte, ein anderes Bild Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern will. „In den Reliefs wurden immer mehrere Themen gleichzeitig aufgegriffen, die ganze Geschichte miteinander verzahnt. Das ist wie heute in einem Comic“, erklärt Prof. Jochem Jourdan, Architekt der „Goldenen Waage“. „Jedes Element der Decke hat eine ikonografische Bedeutung.“ Davon zeugen selbst die von Janus Kopec, Diplom-Bildhauer, Maler und Grafiker, liebevoll gefertigten, mit Diamanten und verschlungenem Rautenwerk gesäumten Rahmen der Reliefs.
Aus den einzelnen Tonelementen und aufwendig gefertigten Reliefbildern erstellen die Mitarbeiter von Fuchs+Girke Gussformen aus Silikonkautschuk. Diese „Negative“ werden mit Gipsmasse aufgefüllt. „Ton eignet sich als Ausgangsmaterial gut zur Bearbeitung, wird mit der Zeit aber trocken und brüchig. Gips dagegen ist lange haltbar und lässt sich auch nach der Montage nachbearbeiten und anpassen. Da es schnell trocknet, taugt das Material aber nicht zur Ersterstellung der Ornamente und Stuckteile“, erklärt Architekt Jochem Jourdan.
Bunt statt weiß
Wie ein großes Puzzle lagern die fertigen Teile in einer eigenen Halle. Dort sind sie bereits so angeordnet, wie sie künftig auch die „Goldene Waage“ zieren. Ein beeindruckendes Bild, das dem Betrachter eine Ahnung von der Pracht der fertigen Stuckdecke verleiht. Noch sind alle Teile weiß. „Die meisten Menschen erwarten das auch so“, erklärt die Kunsthistorikerin Dr. Barbara Rinn-Kupka vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation Marburg. „Aber die Decke wird in der Art des Originals farbig gefasst.“ Das ist gar nicht so einfach, da die vorhandenen Schwarz-Weiß Fotos nur wenig Aufschluss über die frühere Farbgestaltung zulassen. Die Expertin weiß sich zu helfen. Rückschlüsse zieht sie beispielsweise aus einer Stuckdecke in Schloss Gottorf in Schleswig Holstein. Dort arbeitete ein Stuckateur, von dem bekannt ist, dass er zur Zeit der Entstehung der „Goldenen Waage“ auch in Frankfurt tätig war. Schon jetzt steht fest: Ein feiner Grauton bildet den Untergrund, ergänzt von farbigen Akzenten.
Im Juli 2017, wenn alle Stuckteile fertig sind, beginnt der Anbau in der „Goldenen Waage“. Dann verankern, verfugen und bemalen die Mitarbeiter des sächsischen Unternehmens die einzelnen Bilder, Ornamente und Verzierungen an der Decke. Keine Routinearbeit, denn die Decke ist nicht symmetrisch. Das verlangt von den Mitarbeitern noch einmal höchste Konzentration beim genauen Anpassen der Elemente. Ende 2017 wird auch diese letzte Herausforderung gemeistert sein.
Prächtiger Stuck für die „Goldene Waage“ aus der Nähe von Dresden
Prächtiger Stuck für die „Goldene Waage“ aus der Nähe von Dresden
09.03.2017
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